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ein Bild am Tag 2012:  Nehmen und Geben

Resümee zur Aktion "Nehmen und Geben"

Um zu erklären, wie man auf diese Idee kommt, muss ich etwas ausholen, denn man wacht ja nicht morgens auf und denkt: oh, ich mache eine Ausstellung und verschenke meine Bilder, das finden bestimmt alle toll und alle haben mich dann ganz doll lieb.

Nein, denn zusammengefasst ist die Situation von Künstlern hier eher mies, es gibt keine Förderung von öffentlicher Seite, es gibt keine Ausstellungsräume in denen man verkaufen und auch überregional wahr genommen werden könnte, die großstädtische Kunstszene kämpft schon mit der Konkurrenz vor Ort und übersieht schon aus diesem Grund die Provinz, dazu zu viel Hobbykreative ohne selbstkritischen Schliff, die den eh schon wackligen öffentlichen Kunstbegriff zusätzlich verzerren.

Bei mir ist es nun so, dass ich versucht habe die letzten 15 Jahre meinen Stil und mein Anliegen zu entwickeln, auch habe ich immer wieder versucht mit der Kunst Geld zu verdienen, das ging mal besser, mal schlechter, meinen Sparkassenberater überzeugten solche Zahlen aber nie, eigentlich schüttelte er nur fassungslos den Kopf, so was war ihm noch nicht begegnet: jemand studiert und arbeitet in einem anderen Beruf, um seinen eigentlichen Beruf zu finanzieren, aber dann ist es doch ihr Hobby, neinneinnein, nicht mein Hobby, mein Beruf. Da hängt man in der if-Schleife fest.

Die Diskussion über Sinn und Unsinn von Urheberrecht ergab dann den direkten Aufhänger. Das betrifft in der Diskussion eher die Musik, aber auch die Fotografie und natürlich auch die Nutzung von Material der bildenden Kunst. Und ich merkte in Gesprächen, dass das Wissen über diese Situationen der Kulturschaffenden mangelhaft ist, obwohl doch grundlegend, um überhaupt so Dinge zu sagen, wie: Urheberrecht ist uncool.

Wenn ich nun angetreten bin, um meine kreativen Ergüsse in die Welt zu schleudern, darf ich ja nicht per se erwarten, dass die Welt mich mit offenen Armen empfängt, aber wenn sie in dieser Welt Nutzen finden, steht mir ein Lohn zu, das ist logisch, oder es werden Alternativen aufgezeigt.

Im Netz wird also umsonst gesogen und nur selten kann der Künstler davon profitieren.

Und ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn ich meine Ware kostenlos anbiete?

Was passiert dann mit dem Wert eines Bildes?

Wird es überhaupt jemanden geben, der sich dann noch dafür interessiert?

Und wenn, wie wird mit dieser Freiheit umgegangen?

Und wie werde ich selbst mit dieser Reflexion umgehen?

Welche Facetten werden durch die Auflösung von Meins und Deins sichtbar? Gewagt aber spannend, zumal hier in diesem räumlichen Staatsableger, wo sich Menschen tummeln, die auch über Mein und Dein streiten, perfekt.

Die Spielregeln waren ja denkbar einfach: man nimmt und gibt zurück und schickt mir netterweise noch ein Foto von dem neuen Raum. Und wie angekündigt, habe ich eine Dokumentation entwickelt, die im Internet regelmäßig aktualisiert wurde.

Die Schau wurde von mir gepflegt, das heißt, Objekte, Geschenke und auch Bilder, die aus verschiedenen Gründen nicht als Ausstellungsstück geeignet waren, habe ich durch neue Blätter von mir ersetzt, auch Blätter von mir, die im weiteren Verlauf nicht mehr in den sich entwickelnden Kontext passten, wurden durch andere meiner Sammlung ersetzt.

War die Aktion nun ein Erfolg? Für mich: JA, auf jeden Fall.

Darauf deutet nicht nur die Zahl von 127 Tauschaktionen hin, es war auch eine emotionale Ausstellung mit einigen Aufregern, einigen Highlights und einem interessierten Publikum über die ganze Ausstellungszeit von immerhin 5 Monaten. Des öfteren konnte ich munter plappernde Menschen vor den Bildern beobachten, eine recht gute Presse dazu und sogar ein Radiointerview.

Womit ich in der Vorplanung nicht gerechnet hatte, war, dass die meisten Rückgaben ebenso Bilder waren. Das fand ich von Anfang an aber sehr charmant und ich habe die Inbesitznahme zugelassen. Ich gebe nicht nur mein geistiges Eigentum, sondern stelle auch meinen kostbaren Platz zur Verfügung. Da hängt nun eine Schülerzeichnung zwischen einer Arbeit von Saskia de Kleijn und Michael Mattern und ich finde Geschmack am Gutmenschsein.

Neben der rein formalen Ebene mit den Spielregeln und der sachlichen Dokumentation, habe ich die Veränderungen auch beurteilt, manches Mal musste ich mich bewusst drauf einlassen, damit die Gabe von mir erkannt und geschätzt wurde. Beispiel Papierflieger, oder auch der Einkaufszettel, der inzwischen mit zu den Favoriten gehört.

Schon auf der Vernissage gab es bemerkenswerte Aktionen: Das letzte Hemd von Mike Zens, der es völlig intuitiv auszog und gegen ein Blatt tauschte, war der Nagel auf dem Kopf und durfte deshalb während der ganzen Dauer hängen bleiben. Die Karte meiner Uraltfreundin Anette bespielt das Feld Zeit und setzte Erinnerungen frei. Einige Vernissagebesucher waren gut vorbereitet gekommen und brachten gleich eigene Bilder mit, wie z.B. die Itzehoer Sprayer Soul und Lasse W. Die Goofyfigur und der Flieger von Stefan Horstmann., Bücher, ein antiquarisches von einigem Wert und viele Tausche mehr, die eine besondere mich rührende Qualität hatten, wie z.B. der schöne Abend mit dem leckeren Essen bei Jane und Jürgen.

Einer (man trug mir zu, es war ein Richter) nahm den Downloadaspekt auf und gab mir eine Musikdownloadkarte zurück.

Der jüngste Tauschende muss ein ca. 2-jähriges Kind gewesen sein, was ich aus dem Zeichenduktus herauslesen konnte, damit ist Milan Heise zwar nicht der jüngste, aber er war begeistert dabei und tauschte eine sich entleerende Kuh gegen eines seiner Lieblingsmotive, einem Rennauto. Die Beteiligung einer 9. Klasse der Wolfgang-Borchert Regionalschule war erfreulich. Die Begeisterung für das Thema musste zwar erst geweckt werden und das ist wohl auch nicht bei allen vollständig geglückt, dass sei auch dem Alter der Schüler geschuldet, so habe ich doch den Eindruck, dass ein paar Türen aufgegangen sind.

Herauszustellen sind noch zwei nachhaltige Aktionen von ganz unterschiedlicher Herangehensweise: Theresa Fritz nahm die Gelegenheit beim Schopfe und nutzte "nehmen und geben" als selbst disziplinierendes Instrument, indem sie sich verpflichtete jede Woche ein Bild zu erarbeiten, um es dann zu tauschen und machte somit eine wichtige Erfahrung, was kreative Kontinuität bedeutet und mir schenkte sie damit eine kleine Werkschau ihrer Arbeiten.

Robert Hirse hatte schon die Vernissage als Plattform genutzt, indem er eines meiner Protestbilder zur Ölkatastrophe im Golf von Mexiko gegen ein Dokument tauschte, auf dem er seinen Protest gegen die Wenzel-Hablik-Hauskauf-Misere (die Geschichte ist uns allen bekannt) und die Deinstallation von Kultur zum Ausdruck brachte. Für zwei weitere Blätter gab er mir von Wenzel-Hablik gestaltetes Notgeld, ein sinniger Kommentar. Später brachte er noch zwei weitere Künstler mit ins Spiel, dokumentierte und verband mit Hilfe seiner Hybridkunst-Figur "TRINA" ähnlich arbeitende Künstler mit Nehmen und Geben. Dem Künstler Oliver Breitenstein schickte er Geld, dass der Münsteraner in Form von 5 Euroscheinen und mit Texten wie z.B. copyright is for loosers (eine Anspielung auf das Copyright von Geld) versehen in den öffentlichen Raum klebte, dort sollte es genommen werden, im Besten Fall um es in das Kunstprojekt von Ruppe Koselleck zu investieren, der dafür wiederum Aktien von BP kaufen würde, damit das aufhört mit dem Dreck.

Robert dokumentiert seine Gabe hier zusätzlich mit einer kleinen Raum-Installation.

Diesen sehr erfreulichen Taten stehen natürlich auch einige etwas seltsame Reaktionen auf mein Angebot entgegen: da waren nicht wenig völlig leer gebliebene Schnüre, Zettel auf denen eine Gabe angekündigt, aber dann doch nicht eingelöst wurde oder allzu salopp gezückte Gaben, wie abgelaufene Telefonkarten oder ähnlich nutzloses Zeug. Und man hört schon an der Wahl meiner Worte, dass mich das auch erbost hat und ich nicht frei von Erwartungen war. Schon in den ersten 2 Wochen ergab es sich, dass ein Bildtausch von Theresa, das eben schon erwähnte Notgeld und ein Original mit Synapsen von Hendrik Kruse und noch einige mehr wieder genommen wurden, quasi durch die Offenheit meiner Spielregeln, legal geraubt wurden und durch Telefonkarten oder gar nichts ersetzt wurden. Es trieb mir förmlich die Tränen in die Augen und auch auf Plappermaul Facebook wurde das Geschehen scharf kritisiert.

Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen, ersann ich den Aufkleber "Gabe, bitte nicht nehmen". Ein Paradoxum, aber nötig, um Ruhe in die Sache zu bringen. Ich war dann über meine starke Emotion auch amüsiert, denn ging es nicht genau darum, was passiert bei der Auflösung von Eigentum. Mein und Dein. Was für eine seltsame Gier da in mir hochstieg, wie schwer sich davon frei zu machen und doch dann wieder einfach, wenn man sich etwas geistige Weite verschafft und das tat ich, denn Geiz ist überhaupt nicht geil, in keiner Weise.

Nicht nur nebenbei konnte ich beobachten, wie die Besucher mit der ihnen angebotenen Freiheit umgehen. Der Umgang mit Freiheit ist irritierend und ungewohnt. Freiheit bedeutet auch eine Verantwortung zu übernehmen, in diesem Fall liegt die in der Gegengabe und die sollte angemessen sein, was immer das bedeutet, damit ist der Nehmer gefordert, geradezu provozierend, denn dem MEINSreflex steht der GEIZreflex beiseite und der muss erstmal überwunden werden. Bemerkenswert ist, dass der Wert eines Werkes vorerst verschwindet, sich geradezu auflöst, wenn es denn umsonst angeboten wird. Der Wert entsteht erst wieder durch die ideelle Aufladung durch den Nehmenden, der ja seine Gründe hatte, um gerade zu diesem oder jenem Blatt zu greifen. Da diese ideelle Wertigkeit zum Zeitpunkt des Tausches vom Gebenden oft nicht wahrgenommen wird, kommt es bei der einen oder anderen Gabe zu einem Gefälle.

Da das Werk "Nehmen und Geben" auch eine Ebene der gesellschaftlichen Reflexion beinhaltet, sind die emotional negativ beurteilten Ereignisse zu erwarten gewesen und sollten niemanden wirklich überraschen. Hatte ich doch auch ein Szenario vor Augen, der schlimmste Fall, in dem alle Blätter gegen nichts verschwunden wären, so empfinde ich das Ergebnis hier dann als überdurchschnittlich gut und das in Itzehoe!

Ich kann an dieser Stelle nicht jeden Tausch erwähnen, auch ist es mir trotz fast detektivischer Arbeit nicht immer gelungen, herauszufinden wer mit mir getauscht hat, als Kommunikationstool sollte mir das Foto von dem neuen Ort dienen. Da gibt es in der Dokumentation noch große Lücken. Aber ich möchte allen, die sich beteiligt haben ganz herzlich danken.

Statt mit schnödem Geld bepackt (was natürlich im hier und jetzt auch hilfreich wäre), kann ich nun mit neuen intensiven Erfahrungen, und kleinen und großen Geschenken bestückt diese Ausstellung beenden und zufrieden sein, diesen Tabubruch im Kunstbetriebsgeschehen gewagt zu haben und ich denke, es ist mir ein Stück gelungen, die Distanz zwischen der Kunst an der Wand und dem Betrachter aufzulösen oder zumindest einen Anstoß gegeben zu haben. Die Hintergründe von nehmen und geben, sind wohl Einigen verborgen geblieben, aber meine Blätter hängen nun in vielen neuen Räumen und vielleicht stellt sich dort beizeiten ein "ach, so war das gemeint" ein. Wer weiß?

Eindrücke von der Finissage am 07.01.2013